Prof. Dr. Bernd Halfar arbeitet im Sustainability Research Lab der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Arbeitsgebiete sind NPO-Controlling, SROI-Berechnungen, Immobilienökonomie und ESG-Berechnungen. Bernd Halfar ist Mitglied in Aufsichtsräten und Stiftungsräten sozialwirtschaftlicher Unternehmen. Zudem ist er Gesellschafter des Beratungsunternehmens Kamel & Nadelöhr.
Herr Prof. Halfar, in Ihrem Vortrag am 23. Oktober sprechen Sie von vier Schritten zu einer emissionsfreien Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Ohne zu viel zu verraten – können Sie uns einen kurzen Einblick geben, worauf es dabei ankommt?
Eine Branche ist ein statistisches Konstrukt, das keine Entscheidungen trifft. Entscheidungen treffen die Unternehmen, die Verbände, die Klienten, die Kostenträger und der Gesetzgeber.
Die Sozialunternehmen sollten sich beim Thema „Emissionsfreiheit“ auf ihre Interessen konzentrieren. Erster Schritt: Systematische Analyse des Gebäudebestands. Zweiter Schritt: Investitionsstrategien ermitteln, die den höchsten Grenzertrag bei Vermeidung von CO2 bringen. Dritter Schritt: Ein (schlaues) Geschäftsmodell umsetzen, mit dem sich die Investitionen nicht nur umweltpolitisch, sondern auch wirtschaftlich lohnen. Vierter Schritt: Umsetzen!
Sie sprechen ESG (Envrironmental, Social, Governance) an – ein Begriff, der mittlerweile in aller Munde ist. Was bedeutet ESG für Sie konkret in der Sozialwirtschaft?
ESG ist zu einem ausgeklügelten Kontrollsystem mit absurden Berichtspflichten, Zusatzkosten, Taxonomie, versenkten Prüfungskosten und verschwendeten personellen Ressourcen geworden. Eine ursprünglich gute Idee wurde im bürokratischen Brutkasten zum Monster.
Sie haben dafür eine eigene ESG-Matrix entwickelt – was unterscheidet dieses Instrument von klassischen Bewertungsmodellen?
Wir übersetzen Nachhaltigkeit aus der einzelnen Unternehmensperspektive in drei Renditen: „E“ = Umweltrendite, „S“ = Gesellschaftliche Rendite und „G“ = Unternehmensstabilität.
Wo sehen Sie derzeit die größten Hürden bei der Umsetzung von ESG-Vorgaben in der Immobilienwirtschaft?
Die Grenzkostenkurven bei Neubau und Sanierung um in eine bessere Effizienzklasse zu kommen, sind (zu) steil. Die Baukosten sind sowieso auf einem hohen Niveau, so dass trotz aller Förderung, auf eine (noch) bessere energetische Gebäudeeffizienz häufig verzichtet wird. Und es gibt Unsicherheiten im mittelfristigen Entscheidungsverhalten: Wie verlaufen die CO2 Preise? Wie behandelt die Politik die graue Energie im Bestand? Wie belastbar sind die Stromnetze für grünen Strom? Also zugespitzt: Lohnt sich die Gebäudedämmung jetzt, wenn wir demnächst einen Überschuss an preiswerten grünen Strom haben?
Wie gut ist die Sozialwirtschaft derzeit aufgestellt, wenn es um ESG-Transparenz und -Konformität geht?
Die Sozialwirtschaft sitzt in der Falle des dualen Finanzierungssystems, und sie sitzt in der Falle der politischen Unsicherheit: Ob, wann, wie und für wen die EU-Taxonomie umgesetzt wird. Es könnte auch hier schlau sein, zu warten und „das Pulver trocken zu halten“.
Wie könnten denkbare Geschäftsmodelle für die Sozialwirtschaft in diesem Zusammenhang aussehen, und welche Rolle spielen Betreiber bei der ESG-Bewertung einer Immobilie – und wie groß ist deren Einfluss?
Aus meiner Sicht haben wir noch kein gutes kooperatives Geschäftsmodell für alle Seiten gefunden, welches Betreiber, Immobilieneigentümer und Kostenträger gleichermaßen umfasst. Jeder hat noch die Hand in der Tasche des anderen. Aus der Sicht der ökonomisch-mathematischen Theorie spielen wir nicht-kooperative Spiele. Besser wäre es, ein Spiel zu erfinden, in dem eine Veränderung für keinen Beteiligten einen Vorteil bringt.
Warum ist es für Entscheider aus der Sozialwirtschaft gerade jetzt wichtig, sich mit ESG auseinanderzusetzen?
Da bin ich gerne der Hofnarr. Die Entscheider sollten im Moment mit Blick auf ESG eher nichts überhasten, sondern sich auf die Frage konzentrieren, wie man das eigene Unternehmen nachhaltig zukunftssicher machen kann. Ob man dann später dazu berichten muss oder nicht.
Was möchten Sie den Teilnehmenden der Veranstaltung mitgeben?
Die Mitgliedsunternehmen des bpa können alle ganz viele Nachhaltigkeitsmanager einstellen, die dann ganz viele Nachhaltigkeitsberichte schreiben und ganz viele Sitzungen und Audits organisieren. Oder wir denken über einen Nachhaltigkeitsmanager nach, der in 2 Sekunden 19 Millionen Informationen auswertet und eine Lösungsidee vorschlägt und am Abend, wenn Sie ihn nicht anrufen, ein paar Nachhaltigkeitsberichte schreibt …
Herzlichen Dank für Ihre Antworten!
Aktuelle Informationen zum Kongress, zur Anmeldung und dem Workshop mit Prof. Dr. Halfar finden Sie hier: Kongress-Infos.