Prof. Dr. Andreas Wagener im Interview über Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und praktische Wege durch den digitalen Dschungel
Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde – zwischen Innovationshype und wachsender Skepsis. Auf dem kommenden Kongress zur Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft wird Prof. Dr. Andreas Wagener, Experte für digitale Transformation und KI-Ethik, gleich doppelt vertreten sein: mit einer Keynote zum Spannungsfeld zwischen KI und Nachhaltigkeit – sowie einem praxisorientierten Workshop, der Einsteiger:innen den konkreten Umgang mit generativer KI vermittelt.
Im Interview spricht er über Chancen und Herausforderungen der Technologie – und erklärt, warum gerade die Sozialwirtschaft ein besonderes Potenzial hat, von KI zu profitieren.
Herr Professor Wagener, der Titel Ihrer Keynote lautet „Intelligenz mit Nebenwirkungen: KI – Fluch oder Segen für Nachhaltigkeit?“ – was hat Sie zu diesem Thema inspiriert?
Einerseits bin ich absolut begeistert von den Möglichkeiten, die uns KI bietet, die Technik fasziniert mich und sie hilft mir heute, bei meiner Arbeit deutlich produktiver zu sein. Aber ganz ohne Zweifel hat KI auch Schattenseiten. Neben zahlreichen gesellschaftlichen Problemen, die mit dem Rückgriff auf maschinelles Lernen und Sprachmodelle einhergehen, ist dabei auch der enorme – und eben wenig nachhaltige Energieverbrauch zu nennen. Andererseits ist KI potenziell auch in der Lage, beträchtlich zur Lösung klassischer Nachhaltigkeitsprobleme beizutragen, etwa wenn es darum geht, Ressourcen optimal zu verteilen.
Viele verbinden Künstliche Intelligenz vor allem mit Effizienz – aber inwiefern kann KI wirklich nachhaltig sein? Und in welchen Bereichen greift sie sogar Nachhaltigkeitszielen entgegen?
In der Tat steht bei KI oft Effizienz im Vordergrund – aber ein wichtiger Teil von Nachhaltigkeit ist ja gerade der effiziente Umgang mit den meist begrenzt verfügbaren Ressourcen. Daneben ergeben sich viele Einsatzbereiche bei der Organisation der Kreislaufwirtschaft und im Umweltschutz. Schon lange wird KI-gestützte Bilderkennung für die Abfallsortierung verwendet. Zudem kann KI als „Frühwarnsystem“ eingesetzt werden, um mittels Mustererkennung Umweltveränderungen, wie Entwaldung, Wasserknappheit oder Biodiversitätsverlust, schneller zu erkennen. Wenn wir von KI und Nachhaltigkeit reden, geht es meist um das wenig ressourcenschonende und energieaufwändige Training der großen Sprachmodelle und um den Rückgriff auf generative KI. Aber die dahinter liegenden riesigen Rechenoperationen sind ja nicht für jeden Anwendungsfall notwendig. Wir sprechen daher auch heute von „Green AI“, die deutlich weniger Energie und/oder Daten benötigt.
In Ihrer Keynote sprechen Sie auch den Ressourcenverbrauch von KI-Systemen an – insbesondere bei generativer KI. Wie groß ist dieser „unsichtbare Fußabdruck“ eigentlich wirklich?
Das ist schwer exakt zu beziffern, weil man den „echten“ KI-Anteil am Gesamtstromverbrauch nur schätzen kann. Die Rechenzentren erheben ja nicht, wie hoch der Ressourcenverbrauch speziell für KI-Anwendungen ist. Aber diese sind sicherlich der Haupttreiber für den enorm wachsenden Energiebedarf. Man geht aktuell davon aus, dass sich der Stromverbrauch der Rechenzentren weltweit in den nächsten 5 Jahren mehr als verdoppelt. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass die Nachfrage 2030 weltweit etwa 945 Terawattstunden betragen wird. Das entspricht der heutigen Verbrauchsleistung von Japan. Für Europa erwartet man, dass KI dann für 5% des gesamten Strombedarfs verantwortlich sein wird.
Sie erwähnen die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und ökonomisch. Wo sehen Sie besonders spannende Anwendungsmöglichkeiten von KI im sozialwirtschaftlichen Kontext?
Für die ökologische Dimension Definition ist naheliegend auf die schon erwähnte Verbrauchsoptimierung zu verweisen, z.B. im Rahmen des Energiemanagements in sozialen Einrichtungen oder auch bei der Unterstützung der nachhaltigen Ressourcenplanung für die Lebensmittelversorgung.
Die soziale Komponente der Nachhaltigkeit umfasst die Aspekte Gesundheit, Bildung, Sicherheit, Gerechtigkeit und Teilhabe – und damit den Kern der sozialwirtschaftlichen Arbeit. Anwendungsgebiete für KI eröffnen sich etwa bei personalisierten Unterstützungsangebote durch digitale Lösungen, zum Beispiel bei Demenz, im Kontext psychischer Gesundheit oder zur Inklusion. KI-gestützte barrierefreie digitale Assistenzsysteme könnten helfen, die Zugänglichkeit zu verbessern. Eine mögliche Entlastung von Fachkräften in der Pflege oder Sozialarbeit durch automatisierte Dokumentation oder Chatbots für die niedrigschwellige Beratung lassen sich hier ebenfalls aufführen.
Auch in der Sozialwirtschaft sollte natürlich ökonomisch nachhaltig gearbeitet werden. Neben klassischen Effizienzgewinnen durch KI-Anwendungen in der Verwaltungsarbeit oder bei der Ressourcenallokation sozialer Dienstleistungen (z. B. Dienstplanung, Fallmanagement), könnte KI hier auch im Kontext des Innovationsmanagements sinnvoll eingesetzt werden. Neben einfacher Ideengenerierung über ChatGPT & Co, sind hier ebenso Persona-Simulationen denkbar, um das Leistungsnagebot zu überprüfen oder neu auszurichten.
KI polarisiert: Zwischen Dystopie und Utopie scheint alles möglich. Was raten Sie Organisationen der Sozialwirtschaft, um hier einen gesunden und reflektierten Umgang zu finden?
Es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Diese Technologie wird die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vermutlich mehr verändern als irgendeine zuvor. Deshalb ist es wichtig, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Jeder hat die Aufgabe, offen zu prüfen, wo und wie ein Rückgriff auf KI in der täglichen Arbeit oder auch für private Zwecke Sinn macht. Nur dann können wir begreifen, mit was wir es da zu tun haben, wo Potenziale für uns bestehen, aber auch wo Grenzen bestehen, die wir nicht überschreiten wollen. Die Anwendungshürde dieser Systeme ist heute extrem niedrig. Es gibt also keine Ausreden. Wichtig – volkswirtschaftlich, wie auch individuell – ist, dass wir uns hier eigene Kompetenzen aufbauen. Es gibt zunehmend auch in diesem Bereich nationale und Open-Source-Lösungen, wir müssen also nicht zwingend die großen Plattformen aus USA oder China füttern. Das ist nicht nur eine Frage des Datenschutzes, sondern auch der digitalen „Souveränität“. Dieser Aspekt dürfte auch gerade in der Sozialwirtschaft nicht ganz unwesentlich sein. Allgemein gilt es, zunächst nach niedrigschwelligen Optimierungen zu suchen – Tätigkeiten die zeitintensiv und repetitiv sind, vielleicht Dokumentationsaufgaben oder Unterstützung bei Beratungsangeboten. Wer anfängt, sich tiefer mit der Materie zu beschäftigen, wird schnell in der Lage sein, zu beurteilen, welches die weiteren sinnvollen, tiefergehenden Anwendungen im jeweiligen Kontext sind.
In Ihrem Workshop bieten Sie einen praxisnahen „Crashkurs“ zur Nutzung von generativer KI. Was erwartet die Teilnehmenden konkret – und für wen ist der Workshop besonders geeignet?
Ich hoffe, dass ich all die mitnehme, die sowohl kaum oder wenige Grundkenntnisse haben, als auch diejenigen, die schon über etwas tieferes Anwender-Know-How verfügen. Also auch all jene, für die ChatGPT, Perplexity oder Gemini keine Unbekannten sind und die auch regelmäßig diese Tools nutzen –ich hoffe, dass ich auch Letzteren noch ein paar Kniffe und alternative Perspektiven aufzeigen kann. Und wenn wir Zeit haben, schauen wir uns noch ein paar weitere Spezial-Werkzeuge an, die den Arbeitsalltag leichter machen.
Sie sagen: „Prompten kann jeder – aber gute Ergebnisse sind kein Zufall.“ Können Sie einen kleinen Einblick geben, worauf es beim effektiven Einsatz von ChatGPT & Co. wirklich ankommt?
Allgemeine und unspezifische Eingaben führen auch zu oberflächlichen Ausgaben. Wichtig ist, dass man sich zunächst Gedanken macht, was man wirklich erreichen möchte. Und dann so spezifisch wie möglich das Problem beschreibt. Dazu gehört etwa, dass man der KI eine Rolle zuweist – für wen fertigt sie das Ergebnis an? Welche Tonalität ist dabei erwünscht? Welche Ausgabeform erwarte ich – ein förmliches Schreiben, eine E-Mail, eine Trauerrede? Man kann die KI auch „unter Stress setzen“, indem man sie zu Höchstleistungen anspornt, etwa wenn man sie auffordert, ihre Antwort so lange zu überdenken, und dabei soviel Informationen einzuholen, bis sie ihre Antwort so formuliert, wie es die Top 1% der Experten auf diesem Gebiet tun würden. Oder man entfacht ein – gewissermaßen „schizophrenes“ – Streitgespräch, bei dem sich die KI in drei Experten hineinversetzt, die sich am Ende einer Diskussion auf eine gemeinsame, optimale Lösung einigen müssen.
Sie sprechen sogar davon, KI-Systeme ein Stück weit zu „hacken“ – was meinen Sie damit genau?
Die Systeme sind so angelegt, dass sie bestimmte Anfragen nicht zulassen oder umgehen. Das hat durchaus oft nachvollziehbare Gründe: Die Systeme sollen diskriminierungsfrei sein, und man könnte sich ja auch eine Anleitung zum Bombenbauen oder ähnliches erzeugen lassen. Aber ich finde, es ist wichtig, dass der Einzelne hier ein Gefühl dafür bekommt, wie diese Systeme wirklich beschaffen sind – „wie sie ticken“. Nur dann kann ich sie wirklich effektiv nutzen. Deswegen ist es sinnvoll, diese Grenzen auszuloten – und ggf. auch zu überprüfen, ob diese überwindbar sind. Das werden wir im Workshop ausprobieren. Aber keine Angst, wir werden keine Bombe bauen.
Viele in der Sozialwirtschaft fühlen sich von der Technologieflut überfordert. Wie niedrigschwellig ist der Zugang zu den Tools wirklich – und braucht es dafür nicht doch technisches Vorwissen?
Definitiv nein. Jedenfalls nicht für die meisten Alltagsanwendungen. Es ist hilfreich, verstanden zu haben, wie ein Algorithmus funktioniert, auf welcher Grundlage KI entscheidet, aber das lässt sich in der nötigen Tiefe auch in 2 Minuten erklären.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich, dass die Teilnehmenden nach Ihrem Vortrag und Workshop mitnehmen – im Kopf, im Herzen und vielleicht auch auf dem eigenen Laptop?
Ich würde mir wünschen, dass wir mögliche Berührungsängste abgebaut haben. Dass sowohl das Großartige an dieser Technologie verstanden wird, aber auch, wo die Probleme und erheblichen Herausforderungen liegen – nicht nur technisch, sondern insbesondere auch gesellschaftlich – und nicht zuletzt in punkto Nachhaltigkeit. Ziel ist es, dass die Teilnehmer nachhause gehen und den Drang verspüren, Dinge auszuprobieren und weiterzuentwickeln, dabei aber auch immer angemessen skeptisch gegenüber dieser mächtigen Technologie bleiben, Ich wünsche mir, dass Keynote und Workshop dazu beitragen, dass wir zu einem reflektierten Umgang mit KI finden.
Die Keynote von Prof. Dr. Andreas Wagener bietet neue Perspektiven auf ein kontroverses Thema – verständlich, kritisch und zukunftsorientiert.
Und im begleitenden Workshop wird aus Theorie endlich Praxis: Ob Pflegeeinrichtung, Sozialträger oder Projektentwickler – wer sich für die sinnvolle Nutzung von KI in der Sozialwirtschaft interessiert, sollte sich diesen Programmpunkt nicht entgehen lassen.
Aktuelle Informationen zum Kongress und zur Anmeldung finden Sie hier: Kongress-Infos