Ein Interview mit Oliver Kopetz über kluge Planung, berührende Erfahrungen und einen Workshop, der Raum empathisch und zugleich wirtschaftlich denkt. Oliver Kopetz ist Architekt sowie Sachverständiger für Barrierefreies Planen und Bauen und als Abteilungsleiter „Raum und Milieu – Vorgaben“ am Alters-Institut gGmbH beschäftigt.
Am 23. Oktober von 14:30 – 15:30 Uhr wird er genau zu diesem Thema „Das Raum- und Milieukonzept: Nachhaltigkeit in der sozialen Wohnform“ einen Workshop halten.
Herr Kopetz, der Interview- Titel wirft doch gleich die erste Frage auf. Was steckt dahinter?
Oliver Kopetz: Zur Bestandsaufnahme im Vorfeld eines Raum- und Milieuworkshops war ich in einem Pflegeheim und stand gerade im Flur, als eine ältere Dame im Rollstuhl von einer Pflegekraft zu ihrem Zimmer begleitet wurde. Die Dame war recht sicher, dass die „nächste Tür rechts“ ihr Zimmer sei – aber sie schaute in den Raum und sagte irritiert: „Das ist ja gar nicht mein Zimmer!“ Und dann: „Hier sieht ja auch alles gleich aus.“ Dieser Satz hat mich tief bewegt. Er zeigt, wie leicht sich Menschen verlieren können in einem Umfeld, das vielleicht funktional, aber nicht individuell gestaltet ist. Es fehlte an Wiedererkennbarkeit, an Orientierung – letztlich an Zugehörigkeit.
„Hier sieht ja auch gleich aus“ – dieser eine Satz einer irritierten Bewohnerin zeigt eindrücklich, wie sehr fehlende Wiedererkennbarkeit in Pflegeeinrichtungen Orientierung und Zugehörigkeit verhindern kann.
Wie schafft man in einer sozialen Wohnform Räume, die individuell und wirtschaftlich zugleich sind?
Oliver Kopetz: Indem man intelligent plant, im besten Fall schon mit dem ersten Gedankenstrich. Gute Raumgestaltung ist kein Luxus, sondern eine Investition – in Lebensqualität und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Wenn ein Raum Orientierung bietet, reduziert das Stress, verhindert Verwirrung und stärkt Selbstständigkeit. Gleichzeitig lassen sich durchdachte Lösungen in die Instandhaltungsplanung integrieren: langlebige Materialien mit einer bewusst ausgewählten Ausstattung, welche auch den selbstverständlichen Einbezug älterer Möbelstücke nicht scheut. Im gemeinsamen Workshop zeigen wir, wie sich Gestaltung mit Haltung und wirtschaftlichem Denken verbinden lässt – ganz konkret, praxisnah sowie für Neubau und Bestand.
Gute Raumgestaltung ist keine Kür, sondern eine wirtschaftlich kluge Investition in Lebensqualität, Orientierung und zukunftsfähige Instandhaltung.
Ihr Workshop trägt den Titel „Das Raum- und Milieukonzept – Nachhaltigkeit in der sozialen Wohnform“. Worum geht es genau?
Oliver Kopetz: Es geht darum, wie man Wohnlichkeit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zusammen denken kann – und dabei das Arbeitsumfeld genauso berücksichtigt wie das Lebensumfeld. Besonders in stationären und ambulanten Einrichtungen oder der Eingliederungshilfe sind Räume mehr als nur vier Wände. Sie sind Ausdruck von Haltung. Es wird strukturiert und gemeinsam erarbeitet, wie ein durchdachtes Raum- und Milieukonzept zur Grundlage für zukunftsfähige Instandhaltungsplanung wird – und warum man dabei nicht nur mit dem Maßband, sondern auch mit Empathie arbeiten sollte. Denn es reicht nicht, wenn externe Planer oder Entscheider im Alleingang entwickeln. Sie stünden allein vor der nicht zu unterschätzenden Herausforderung „ihren eigenen Geschmack zu überwinden“. Unverzichtbar ist die direkte Beteiligung von Menschen aus dem Alten- und Pflegeheim – denn sie kennen ihre eigenen Bedürfnisse bzw. jene der Bewohnerinnen und Bewohner am besten. Ihre Erfahrung ist der Schlüssel für wirksame, praxistaugliche Lösungen.
Räume sind mehr als vier Wände – sie sind Ausdruck von Haltung und gelingen nur, wenn Wohnlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Empathie gemeinsam gedacht werden.
An wen richtet sich der Workshop – und warum ist er für so viele Berufsgruppen interessant?
Oliver Kopetz: Unser Ziel ist es, Menschen mit planerischer, fachlicher und finanzieller Verantwortung zusammenzubringen. Architekt:innen, Einrichtungsleitungen, Controlling, Pflegefachpersonen – sie alle prägen gemeinsam, wie Räume entstehen oder weiterentwickelt werden. Und oft sprechen sie unterschiedliche Sprachen. Im Workshop schaffen wir einen Ort für Perspektivwechsel: Wir zeigen, wie man gemeinsam tragfähige Konzepte entwickelt, die wirtschaftlich tragbar, fachlich fundiert und menschlich überzeugend sind. Kurz: Räume, die funktionieren – und sich richtig anfühlen.
Unser Workshop bringt Fach- und Finanzverantwortliche zusammen, um tragfähige Raumkonzepte zu entwickeln, die wirtschaftlich funktionieren und sich menschlich richtig anfühlen.
Was macht ein gutes Raum- und Milieukonzept aus Ihrer Sicht aus – ganz konkret?
Oliver Kopetz: Ein gutes Konzept erkennt an, dass Räume wirken – auf alle. Für Bewohner:innen heißt das: Orientierung, Sicherheit, Selbstbestimmung. Für Teams: funktionale Unterstützung, ergonomisches Arbeiten, emotionale Entlastung. Für Träger: klare Strukturen, wirtschaftlich sinnvolle Instandhaltung, nachhaltige Nutzung. Gute Gestaltung berücksichtigt also die Lebensrealitäten aller Beteiligten. Und dabei geht es nicht um Hochglanz-Architektur mit Lobby-Charme, sondern um alltagsnahe Lösungen mit Substanz: Warum nicht eine Wandfarbe, die Wiedererkennung schafft – und nicht nur modisch klingt wie „Nebelgrau 27“? Oder eine Möblierung, die pflegeleicht ist und trotzdem nach Zuhause aussieht – und nicht nach Katalogseite 3.
Ein gutes Raumkonzept wirkt für alle – es schafft Orientierung für Bewohner:innen, Entlastung für Teams und Wirtschaftlichkeit für Träger, ohne auf alltagsnahe, menschliche Lösungen zu verzichten.
Was ist mit Bestandsgebäuden – lässt sich dort überhaupt etwas bewegen?
Oliver Kopetz: Absolut. Gerade im Bestand mit nicht selten langen, sogartigen Fluren ist die Not oft am größten. Ich habe auch schon gesehen, dass in Fluren rote Pfeile auf den Boden geklebt wurden. Hier sprechen wir nicht von Orientierungshilfe, sondern von einem lauten Hilfeschrei und zugleich einer Backpfeife für die Planung.
Viele Häuser sind funktional in Ordnung, aber atmosphärisch vernachlässigt. Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung sind hier der Schlüssel: Licht, Akustik, Rückzugsnischen, Farbgebung. Aber auch das Einbinden der Menschen vor Ort: Wer lebt hier? Wer arbeitet hier? Was brauchen sie wirklich? In unserem Workshop geben wir praxisnahe Impulse und Werkzeuge mit, wie man auch im Bestand ein zukunftsfähiges Raum- und Milieukonzept entwickelt – abgestimmt auf Prozesse, Ressourcen und Ziele.
Gerade im Bestand liegt großes Potenzial: Mit kleinen, gezielten Maßnahmen und der Einbindung der Menschen vor Ort lassen sich funktionale Räume in lebenswerte Orte verwandeln.
Was spricht dafür, sich nach dem Workshop konkret mit einem eigenen Raum- und Milieukonzept auseinanderzusetzen – und welche Erkenntnisse bringt der Austausch mit Ihnen dafür mit?
Oliver Kopetz: Weil wir dort nicht nur über Innovation reden, sondern sie gemeinsam gestalten. Der Workshop „Das Raum- und Milieukonzept – Nachhaltigkeit in der sozialen Wohnform“ ist eine Einladung, umzudenken – und vor allem mitzudenken. Wir bringen Fachlichkeit, Kreativität und Wirtschaftlichkeit in einen sinnvollen Zusammenhang. Es geht nicht um schöne Bilder, sondern um umsetzbare Konzepte. Wer teilnimmt, geht mit konkreten Ideen, viel Inspiration – und dem Gefühl, dass auch vermeintlich kleine Veränderungen Großes bewirken können.
Unser Workshop ist keine Ideenschau, sondern eine Einladung zum Mitdenken – für alle, die innovative Raumkonzepte umsetzen wollen, die praktisch tragen, wirtschaftlich funktionieren und spürbar etwas verändern.
Und was die Epoche der Renaissance mit dem Raum- und Milieukonzept zu tun hat?
Das bleibt vorerst offen – eine überraschende Verbindung, die ich jedoch erst im Workshop auflöse.
Workshop mit Oliver Kopetz am 23. Oktober von 14:30 – 15:30 Uhr.
Über Oliver Kopetz
Oliver Kopetz ist Architekt und Sachverständiger für barrierefreies Planen und Bauen.
Er leitet die Abteilung „Raum und Milieu – Vorgaben“ der Alters-Institut gGmbH, einer Tochtergesellschaft der Ev. Johanneswerk gGmbH mit Sitz in Bielefeld, und entwickelt fachlich fundierte, wirtschaftlich tragfähige Raum- und Milieukonzepte für soziale Wohnformen für Menschen mit Unterstützungsbedarf.
Sein architektonisches Handeln ist geprägt von einem ganzheitlichen Verständnis: nachhaltig, partizipativ und konsequent am Menschen orientiert. Dabei wird nicht nur das Wohnen, sondern auch der Arbeitsraum als integraler Bestandteil ganzheitlicher Lebenswelten mitgedacht.
Mit langjähriger Erfahrung in Bestandsentwicklung, Umbau und Neubauprojekten sowie als Autor und bundesweit tätiger Speaker bringt er praxisnahe Expertise in die Diskussion um zukunftsfähige, inklusive Architektur ein.