Portrait von Dr. Thomas-Henningsen

Interview mit Dr. Thomas Henningsen: „Mut zum Handeln“

Gesellschaft und Politik

Dr. Thomas Henningsen engagiert sich seit über 30 Jahren für den Umwelt- und Naturschutz – ob zum Schutz der Meere, Wälder, der Arktis oder des Klimas. Als langjähriger Kampagnendirektor bei Greenpeace leitete er nationale und internationale Projekte rund um den Globus. Der promovierte Meeresbiologe und ausgebildete Forschungstaucher forschte u.a. zu Delfinen im Amazonasgebiet und verfasste zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Beiträge. Heute ist er Mitbegründer und Geschäftsführer von ORCA – Organisation for Rapid Climate Action – und Umweltchef der Handwerksgruppe HPM, wo er sich für nachhaltige Strategien im Mittelstand einsetzt.

Erleben Sie ihn am 22.10.2025 live mit einem Vortrag in der Speaker´s Corner auf den bpa Care about |Innovation-Days.

Herr Dr. Henningsen, die Bauindustrie verursacht rund 37 % der globalen CO₂-Emissionen. Warum ist gerade dieser Sektor so klimaschädlich?

Aus meiner Sicht gibt es vier wesentliche Gründe: Das eine ist, dass die Bauindustrie natürlich durch ihren massiven Materialeinsatz eine große Umwelt- und CO2-Belastung darstellt. Die Materialien, ob das nun Aluminium oder Kunststoff für die Fenster sind oder Beton und Zement – gerade diese sind, wenn nicht aus recyceltem Material, generell extrem klima- und umweltschädlich. Der zweite Grund ist die ganze Logistik, die Mobilität, die dahintersteht. Die Rohstoffe für die Produkte müssen meist über sehr lange Wege transportiert werden. Der dritte Grund ist das Abfallmanagement. Wir sehen ja auf jeder Baustelle immer wieder riesige Container mit Schutt und Abfall, der nicht wiederverwertet oder recycelt wird. Und der vierte Grund ist der Eindruck, dass gerade im Bausektor immer noch wenig sauberer Ökostrom aus erneuerbaren Quellen eingesetzt wird.

 

Was müsste sich Ihrer Meinung nach kurzfristig ändern, um den ökologischen Fußabdruck beim Bauen zu senken – und was sind die größten Hebel für langfristige Veränderung?

Wir haben schon längst Lösungen für all die angesprochenen Probleme wie umwelt- und klimafreundlichere Materialein aus Holz, PVC-freie recycelte Kunststoffe oder Metalle aus recyceltem Material. Die Mobilität sollte auf Elektromobilität umgestellt werden usw.

Alle Alternativen sind da. Und das ist das Ärgerliche daran, dass wir schon längst die Lösungen auf dem Tisch haben. Wir müssen sie nur einsetzen und anwenden.

Und das gilt für alle diese vier großen Bereiche, die ich am Anfang angesprochen habe, also Materialeinsatz, die Logistik, die Mobilität, das Abfallmanagement und auch der Einsatz von Energie.

 

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie nachhaltiges Bauen heute schon gelingt – vielleicht auch in Verbindung mit dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe?

Es geht dabei gar nicht so sehr um einzelne Gebäude. Wenn man Holz einsetzt, sollte es aus einer wirklichen ökologischen Waldwirtschaft kommt. Das ist eine wunderbare Alternative. Und man ist inzwischen in der Lage, ganze Hochhäuser aus Holz zu bauen. Es braucht gar nicht mehr diesen massiven Einsatz von Zement und Beton, welche zu den klimaschädlichsten Materialien gehören.

Wir haben auch Alternativen für den Isolierungsbereich, die längst aus Holzfasern, aus Zellulose, aus vielen alternativen, nachwachsenden Rohstoffen stammen können. Wir haben ja auch schon nachhaltigere Methoden, indem man nicht abreißt und neu baut, sondern indem man modifiziert, indem man modernisiert und renoviert.

Und ganz wichtig ist auch neben den eingesetzten Materialen, dem Abfallmanagement und dem Energieeinsatz die Frage der Gestaltung des Baus und der Grundstücksfläche. Stichwort Begrünung und Wasser, Gründächer, möglichst geringe Versiegelung, Wassermanagement, so wenig wie möglich versiegeln und eine naturnahe Gestaltung der Flächen sollte zu einem Muss werden. Etwas mehr Wildnis zulassen und damit echten Lebensraum erhalten oder schaffen, ist hier das Credo.

 

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten im Umwelt- und Klimaschutz, haben für Greenpeace gearbeitet und jetzt mit ORCA eine gemeinnützige Klimaschutzorganisation gegründet. Was war Ihre persönliche Motivation, sich mit voller Kraft in dieses Feld zu stürzen – und was treibt Sie heute an?

Das haben viele Faktoren mitgespielt. Die Schönheit der Natur (Wälder, Wale, Polargebiete …) erleben zu dürfen und gleichzeitig ihre Zerstörung zu erfahren, hat so etwas wie eine positive Wut in mir ausgelöst und der Wille für die Schwächeren zu kämpfen. Und, dass ich selber wunderbare Kinder habe, die auch eine Welt erleben sollen, die ich selber genießen durfte, gerade sich somit auch für die nächste Generation einzusetzen.

Das Bauen zudem liegt mir sehr am Herzen. Nicht nur, weil ich selber ein Handwerk gelernt habe, ich bin inzwischen auch zuständig bei der Handwerksgruppe HPM, im Nachhaltigkeits- und Umweltbereich, neben ORCA, und da merke ich auch immer wieder, wie sehr das Handwerk eigentlich so ein Leuchtturm sein kann, und das ist mir ein großes Anliegen für viele Branchen.

Das Handwerk kann zeigen, dass es nachhaltiger geht und dass wir unser Leben so gestalten können, dass es eben nicht umweltunterschädlich ist. All das zusammenführend motiviert mich jeden Tag, nicht nur aufzustehen, sondern mich dafür einzusetzen, dass die Welt ein Stück besser gemacht wird und ein Stück erhalten bleibt.

 

Der Titel Ihres Vortrags lautet: Umwelt, Klimakrise, planetare Grenzen und Wirtschaft – zwischen Verantwortung, Risiken und neuen Chancen“. Welche Chancen sehen Sie hier genau für Architekt:innen, Betreiber:innen von Pflegeimmobilien und Projektentwickler:innen?

Wir müssen die Menschen erreichen, die zuständig sind für das Bauen, und das sind natürlich die ProjektentwicklerInnen, die ArchitektInnen, alle, die in dem Bereich aktiv sind, aber auch die Auftraggeber.

Als Auftraggeber muss man sich überlegen, will ich wirklich günstig und billig bauen und somit auf Kosten der Umwelt und des Klimas und somit auch auf Kosten der kommenden Generation? Die Kimakrise zerstört nicht nur die Natur, sondern auch langsam unsere eigenen Lebensgrundlagen. Es muss ein Muss sein, dass wir alternative Möglichkeiten in Betracht ziehen und auch umsetzen.

 

Viele Entscheider:innen aus der Pflegebranche haben das Thema Nachhaltigkeit zwar auf dem Schirm – aber kämpfen mit knappen Budgets, Zeitdruck und komplexen Ausschreibungsprozessen. Wie kann man trotzdem ins Handeln kommen, ohne sich zu überfordern?

Ja, das bleibt ein Problem. Aber wir müssen uns vor Augen führen, alles, was wir jetzt nicht machen, wird unendlich viel teurer, wenn dieser Klimawandel die Klimakrise weiter verschärft und wahrscheinlich unsere Wirtschaft, unser ganzes Leben gefährdet.

Und die ganzen Folgekosten, die durch Stürme, durch Überschwemmungen, durch Dürren, durch die riesigen Starkregenereignisse kommen, sind natürlich viel, viel höher als das, was wir jetzt investieren könnten, und wie wir die Krise noch zumindest abmildern könnten. Das ist nicht nur eine volkswirtschaftliche Frage, sondern natürlich auch eine Klimaschutzstrategie-Frage und sogar eine betriebswirtschaftliche Betrachtung für jede Unternehmerin und jeden Unternehmer.

 

ORCA verfolgt einen praxisnahen Ansatz: Sie setzen auch auf „low hanging fruits“ – also schnell umsetzbare Maßnahmen. Können Sie uns einen Einblick geben, was das konkret für Pflegeimmobilien bedeuten könnte?

Ja, unser Leitspruch ist Machbares Machen. Das ist uns auch ganz wichtig, dass wir keine theoretischen großen Konzepte erstellen, die niemals umgesetzt werden können, weil sie entweder viel zu theoretisch oder nicht mehr bezahlbar sind oder überhaupt gar nicht zur Verfügung stehen in den Lösungen. Deshalb Machbares Machen.

Wir können natürlich im gesamten Energiebereich einfach auf ökologischen Strom setzen. Wir können auf bessere Heizungstechniken setzen, die alle schon da sind. In der Mobilität haben wir viel mehr Möglichkeiten durch die Elektrifizierung, uns auf viel saubere Weise fortzubewegen – klimafreundlicher, umweltfreundlicher und somit weniger belastend. Also hier auch wieder die Dinge umzusetzen, die schon längst da sind. Low hanging fruits heißt aber auch, wenn wir ein Gebäude haben, das immer noch herkömmlich bewohnt wird, dass man zum Beispiel schnell auf LED-Lichttechnik umstellt. Das ist auch finanziell äußerst interessant und attraktiv, weil die Kosten sinken, um nur ein Beispiel zu nennen.

 

In der Diskussion um klimafreundliches Bauen wird viel über Technik gesprochen. Wie wichtig ist dabei auch ein kultureller oder gesellschaftlicher Wandel – also etwa ein neues Verständnis von „Wohlstand“ oder „Modernität“ im Bauen?

Ja, Technik ist eins, aber viel bedeutender ist die Einsicht und der Wandel, Dinge auch anzupacken, um sie zu verändern. Es geht hier wirklich nicht mehr um ein paar Nuancen des besseren Lebens oder des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sondern es geht inzwischen ums Überleben. Der Klimawandel betrifft alle unsere Lebensgrundlagen und deshalb muss natürlich ein anderes Verständnis her, wie wir auch das Bauen, das Wohnen und das Zusammenleben in Zukunft – und die beginnt jetzt – neu gestalten.

Das fängt nicht nur an beim Bauen selber an, bei den Materialien, sondern wie kann das Wohnen aussehen bei einem zunehmenden Wachstum der Menschheit? Also hier müssen alternative Wohnmodelle mit angedacht werden. Das Einzelhauswohnen ist wahrscheinlich nicht mehr lange möglich, es muss eine neue Philosophie für ein gemeinschaftliches Wohnen her, und wie Immobilien – z.B. auch leerstehende – hierfür genutzt respektive umgenutzt werden können.

 

Ihr Vortrag wird im Rahmen der bpa Care about Innovation Days stattfinden. Was dürfen die Teilnehmenden erwarten – und was hoffen Sie, bei ihnen auszulösen?

Ich halte diese Vorträge gerne, aber nicht, weil es mir Spaß bringt, sondern ich glaube, wir müssen über die neuesten Fakten und Daten unbedingt sprechen. Das wird ein Teil meines Vortrags sein. Das sind die neusten wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten, die wir nicht mehr in Frage stellen dürfen. Aber auch, was sind die Lösungen, die wir jetzt einsetzen können, die machbar sind. Wir möchten auch konkrete Beispiele zeigen, wie es uns gelungen ist, den ökologischen Fußabdruck von bestimmten Firmen oder Organisationen oder Institutionen wirklich massiv zu senken durch einfachste Mittel. Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist das wirklich eine massivste Gefährdung aller Lebensgrundlagen und das kann keiner wollen.

Ich möchte die Leute motivieren, nicht nur zuzuhören, sondern mitzumachen. Es geht also auch darum, was jede/jeder Einzelne tun kann. Es braucht eben dieses kleine Stück Mut endlich zu Handeln und so etwas verändern und gestalten.

 

Und zum Schluss: Was kann jede/r von uns sofort für den Klimaschutz beitragen?

Einfach den klaren Menschenverstand einsetzen, der uns doch immer wieder sagt, was richtig oder richtiger ist. Klimaschutz heißt dich nicht automatisch Verzicht auf alles, es geht nicht um das „Nein“, sondern sich Alternativen zu überlegen. Brauche ich wirklich ein SUV-Auto, gibt es Alternativen? Wenn ich Strom brauche, dann Stromwechsel hin zum ökologischen Strom – ein Telefonanruf genügt. Wenn ich Papier brauche, dann Recyclingpapier. An Verpackungen sparen, um weniger Müll zu produzieren.

Ich gebe mal zwei Beispiele:

  1. Wenn wir in unserem Leben nicht auf Papier verzichtet hätten, aber eben nur Recyclingpapier (Kopier-, Schul-, Toilettenpapier…) einsetzt hätten, wären für jeden von uns 35 Bäume weniger gefällt worden.
  2. Unser Fleischkonsum: Wenn wir nur mal ein einziges Kilo Rindfleisch weniger essen, werden 15.000 Liter Wasser gespart. 15.000 Liter Wasser braucht ein normaler Mensch zum Duschen für ein ganzes Jahr.

Mal ein bisschen mehr Fahrrad fahren, mal ein bisschen weniger Fleisch essen, biologische Lebensmittel einsetzen, weniger Verpackung … Nicht auf alles verzichten, es anders machen und trotzdem Freude daran haben.

Die Speaker´s Corner in der Messehalle wartet mit einem abwechslungsreichen Programm von Kurzvorträgen an beiden Messetagen auf. Erste Highlights , wie der Vortrag von Dr. Henningsen am 22.10.2025 sind bereits angekündigt, alle Infos folgen hier: Speaker´s Corner.

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